Landtagsrede der niedersächsischen Justizministerin am 27. Februar 2014
Lassen Sie uns nach den Stunden der Befassung mit Herrn Edathy zu der
Opferseite kommen.
Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung und die Würde unserer Kinder müssen
im Mittelpunkt weiterer Handlungsoptionen stehen. Diese zentralen Werte werden
verletzt, wenn die Nacktheit von Minderjährigen kommerzialisiert wird. Sollte es
Schutzlücken im Bereich der Kinder- und Jugendpornografie geben, sind diese
schnellstmöglich zu schließen.
Die Strafvorschriften zur Kinder- und Jugendpornografie wurden in den
vergangenen Jahren mehrfach verschärft. Heute ist jede Form der Verbreitung, des
Erwerbs und Besitzes von Nacktaufnahmen Minderjähriger strafbar, wenn diese
sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern zum Gegenstand haben.Das Spektrum
strafbaren kinder- und jugendpornografischen Materials reicht hierbei seit der
im November 2008 in Kraft getretenen Novelle des Strafgesetzbuchs von der
Darstellung sexuellen Missbrauchs bis zum sexuell motivierten Posieren.
Strafbare Posing-Darstellungen sind Fotos mit Abbildungen von Minderjährigen,
die ihre Genitalien oder ihr Gesäß unbedeckt und aufreizend zur Schau stellen.
Gemeint ist hierbei dasaktive Einnehmen sexualbetonter Körperhaltungen und
Positionen. Die filmische oder fotografische Fixierung von Nacktheit also solche
ist damit vom geltenden Strafrecht nicht erfasst.
Der heute zu einer ersten Beratung anstehende Antrag der Fraktion der CDU
drängt auf eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel einer weitreichenden
Verschärfung der §§ 184 b und 184 c StGB.
Explizit wird gefordert, diese beiden Bestimmungen so zu reformieren, dass
die Verbreitung, der Erwerb und der Besitz von sexuell aufreizenden Nacktfotos
von Kindern und Jugendlichen generell strafbewehrt werden. Dies würde dann
insbesondere auch für Filme und Fotos gelten, die keine aktive Handlung des
Kindes bzw. Jugendlichen (kein „Posing") zeigen. Es käme auch in keiner Weise
darauf an, wer die Aufnahme gemacht hat und zu welchem Zweck.
Dieser Antrag macht deutlich, dass eventuell weitere notwendige Änderungen
der §§ 184 b + c StGB mit großer Gründlichkeit angegangen werden müssen.
Qualität geht hier vor operativer Hektik. Bereits die vergangenen Novellierungen
des Sexualstrafrechts haben deutlich gezeigt, wie schwierig es ist,
Strafbarkeitsbestimmungen in diesem Bereich trennscharf und bestimmt zu fassen.
Damit Strafbarkeitslücken umfassend geschlossen werden können, bedarf es keines
Schnellschusses sondern reiflicher Überlegung. Wir sollten uns auch vorsehen,
strafrechtliche Bestimmungen derart weit zu fassen, dass schon der Besitz
vollkommen unbedenklicher Bilder im Familienalbum, wie vom Baden des Babys oder
aus dem letzten Sommerurlaub, kriminalisiert wird.
Statt einer punktuellen Verschärfung sollte daher eine umfassende und vor
allem kohärente Novellierung des Sexualstrafrechts in Angriff genommen werden.
Eine solche Reform ist ohnehin überfällig. Denn die EU-Richtlinie 2011/93/EU zum
Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung muss umgesetzt werden. Die letzte
schwarz-gelbe Koalition hat auch in diesem Bereich durch Nichtstun geglänzt. Die
zwingend zu beachtende Umsetzungsfrist hierfür ist bereits seit dem
19.12.2013 abgelaufen. Erst das neue Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz hat angekündigt, diese Richtlinie zeitnah umzusetzen
und sich so nicht nur europarechtskonform zu verhalten, sondern vor allem die
notwendige Reform des Sexualstrafrechts unmittelbar anzugehen.Eine
Bundesratsinitiative Niedersachsens kann deshalb derzeit keinen Mehrwert
bringen. Wir sollten zunächst die Vorschläge aus Berlin abwarten, sie bewerten
und dann konstruktiv begleiten.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz lässt im Vorgriff
auf diese Novelle bereits prüfen, ob sich der gewerbliche Handel mit
Nacktbildern von Minderjährigen unter Strafe stellen lässt. Ein solcher
Vorschlag hat auch meine volle Unterstützung!
Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass sich hierdurch alle
Probleme lösen lassen. Nicht erfasst blieben z. B. Konstellationen wie der
Tausch und die kostenlose Weitergabe von Nacktaufnahmen von Minderjährigen in
Internetforen. Da werden wir aber zumindest in Teilbereichen auch künftig Lücken
hinnehmen müssen, sonst wäre jeglicher Besitz, auch der unbedenkliche familiäre,
strafbewehrt.
Eine der großen praktischen Schwierigkeiten liegt zudem darin, dass sich
Server, über die kinder- und jugendpornografische Bilder verbreitet werden,
vornehmlich im Ausland außerhalb der Europäischen Union befinden. Hierdurch wird
ein technischer Zugriff auf die Server genauso erschwert wie der strafrechtliche
Zugriff auf die verantwortlichen Betreiber und Nutzer. Das werden auch die
schärfsten Straftatbestände faktisch nicht verhindern können!
Dies zeigt bereits, dass sich die Bekämpfung der Kinder- und
Jugendpornografie nicht allein durch eine Verschärfung des Strafrechts
bewerkstelligen lässt. Das Strafrecht kann nicht jegliche gesellschaftliche
Fehlentwicklung kompensieren.
Hierfür scheint mir vielmehr ein umfassenderer Ansatz erforderlich, über den
wir alle gemeinsam mehr nachdenken sollten. Ich möchte deshalb Ihren Blick auf
die Kriminalprävention lenken. Durch eine erfolgreiche Präventionsarbeit kann
erreicht werden, dass Straftaten gar nicht erst begangen werden.
Pädophilie ist nicht wenig verbreitet. Viele haben das im Griff. Aber längst
nicht alle. Wer pädophile Neigungen verspürt, der lässt sich aber auch nicht nur
durch Strafandrohungen oder die Angst vor dem Erwischt werden und der damit
verbundenen gesellschaftlicher Ächtung abschrecken.
Deshalb ist es erforderlich, potentielle Täter rechtzeitig zu therapieren.
Unser Augenmerk muss daher auch darauf gerichtet sein, individuelle Therapie-
und Beratungsangebote in ausreichender Zahl vorzuhalten. Hierbei ist für die
Akzeptanz und den Erfolg derartiger Angebote von herausragender Bedeutung, dass
die Anonymität der Teilnahme gewährleistet ist.
Beispielhaft ist dabei für meine Begriffe das an der Berliner Charité ins
Leben gerufene Projekt, „Kein Täter werden". Einen erfolgreichen Ableger dieses
bewährten Präventionsprojekts gibt es auch an der Medizinischen Hochschule
Hannover. Dabei handelt es sich um ein kostenloses und durch die
Verschwiegenheitspflichten geschütztes Behandlungsangebot. Im Rahmen der
Therapie erfolgt eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität, um
Betroffenen zu helfen, verantwortungsvoll mit ihrer Neigung zu leben.
Die Förderung und der Ausbau solcher Angebote tragen wesentlich zur
Bekämpfung der Kinder- und Jugendpornografie bei. Gleiches gilt für Konzepte die
Kinder und Jugendliche in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen und
hierdurch „stark" machen. Diesen Bereich der Präventionsarbeit möchte ich
zukünftig noch weiter voran bringen. Darum müssen wir uns kümmern!
Nach alledem bleibt festzustellen, dass der von der CDU-Fraktion eingebrachte
Entschließungsantrag uns nicht weiterbringt. Wir brauchen jetzt keine
Bundesratsinitiative Niedersachsens. Unsere Kinder und Jugendlichen schützen wir
am besten durch vorbeugende Maßnahmen. Und Strafbarkeitslücken schließen wir auf
kohärente Weise gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz, dessen angekündigte Reformvorschläge wir konstruktiv
begleiten werden.
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